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FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG 1 | 2018                                                          Kolumne

Das Leben ist kein …

„Will ich auch!“, sagt Mia (3). „Was?“, frage ich. „Ein     © iconicbestiary / Freepik.com
Pony!“, ruft meine Tochter und hüpft im Kinderfahr-
radsitz hinter mir auf und ab. Ich gerate gehörig ins       … Sie wissen, was ein Micro Fringe ist, oder? Ich meine
Schlenkern, während mich von rechts ein 70-plus-be-         diesen mega hässlichen, ultra kurzen Ponytrend, früher
satteltes E-Bike mit gefühlten 80 Sachen überholt, und      schlicht Pottschnitt genannt? ... Unsere Küchenschere
komme mit einem verwackelten Hechtsprung vor der            in Kinderhänden hatte ganze Arbeit geleistet. Einmal
roten Ampel zu stehen. „Ein Pony? Wieso ein Pony?“ –        kurz unter dem Haaransatz in Asymmetrie bei Mia. Ein-
Und warum überhaupt schon wieder dieses Thema?              mal als zipfeliger Bob mit ungleichen Längen und harter
Ich strample genervt durch den Oldenburger                  Schnittkante bis an die Ohren bei Anna-Maria.
Nieselregen und bugsiere klamme Nettotü-                    „Ein Pony!“, rief Berti. – Den Mädchen gefielʼs. Und ich
ten und ein Nörgelkind Richtung Friseursalon.               fand es, anders als in meiner Jugend, nicht wirklich drama-
Seit Anna-Maria (4), Einzelkind mit Helikoptermutter        tisch entstellend. Schließlich flanieren gerade alle großen
Ü 40 und eigenem Pony, Mias neue Freundin ist, ver-         Mädels, die sich für besonders hip halten, mit derart ge-
suche ich meiner Dreijährigen zu erklären, dass C&A         schmacksverirrt abgesäbeltem Fronthaar durch die City.
auch schöne Pullis verkauft, Kinderturnen im Verein         Und immerhin waren die Ohren noch dran. … So what?
Spaß machen kann und – vor allem!!! – dass unser            Eine Stunde später wanderte Anna-Marias gepflegter
Balkon kein geeigneter Lebensraum für Ponys ist.            20-Zentimeter-Zopf – sorgsam in einen Gefrierbeutel einge-
Als alleinerziehende Vollzeit-Normalverdienerin mit zwei    tütet – in die Fake-Gucci-Bag ihrer verstörten Mutter, deren
Kindern finde ich es leider überhaupt nicht witzig, dass    noch taube Lippen irgendwas von einem Pony-Trauma nu-
Anna-Maria mit Designer-Shirts, Nobel-Turnschühchen, Reit-  schelten. „Der neueste Schrei!“, sagte ich süffisant lächelnd
unterricht und Chauffeur-Mutter auf der Wunschliste meiner  und wurde von rabenschwarzer Befriedigung durchströmt.
Tochter Maßstäbe setzt, die für mein Budget, meinen
Zeitplan und meine Nerven einfach eine deutliche Latte zu
hoch hängen. Der ganze Firlefanz geht mir fürchterlich auf
den Sender, während Mia neuerdings dauernd die Kommu-
nikation verweigert und die beleidigte Leberwurst gibt.

Vorgestern jedoch hatte Anna-Marias Mutter Zahn-            Bin ich ungerecht? Bin ich neidisch? Bin ich eine fiese
schmerzen und ihr Designer-Kind für den Besuch beim         Kuh? – Kann sein. Ich verspreche auch, das beizeiten zu
Arzt schweren Herzens unbeaufsichtigt in unsere             reflektieren. Aber heute nicht mehr, denn Mia muss vor
überschaubare Vier-Zimmer-Behausung überführt.              Omas Geburtstag unbedingt noch zum Friseur. Für eine
Während ich meinen wohlverdienten Feierabend-Kaffee         Micro-Fringe-Korrektur. Allerdings will sie da nur hin, wenn
kochte, mit meiner Freundin Ruth telefonierte und           Anna-Maria mitkommt. Außerdem hat sie schon wieder die-
Berti (4) beim Cowboyspiel als Wüstenberg diente, ver-      sen „Ich glaube, du hast mich nicht wirklich lieb“-Blick“. Ich
schwanden die beiden jungen Damen kichernd in Mias          muss jetzt also wohl oder übel im Reitstall bei Super-Mom
Zimmer. Und dort wurde es dann, anders als norma-           anrufen, die gestern bei Facebook einen vom Coiffeur ge-
lerweise bei Freundinnenbesuch, verdächtig still.           stylten Fringe-Dings-Partnerlook mit Töchterchen präsen-
Ich legte mein Ohr an die Kinderzimmertür. Nichts.          tierte. … Das Leben ist kein Ponyhof! – Es ist ein Irrenhaus.
Ich klopfte leise. „Geschlossen!“, rief Mia. „Was
macht ihr?“ „Hihihi“, flötete Anna-Maria. „Die ma-          		Eure Tina
chen Mist!“, raunte Berti. – Ich ging rein.

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