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Kolumne

                                                          © kristall, fotolia

            Lernen am Modell

   Seit ein paar Tagen decken Mia (2) und Berti (3 ½)     Ja, spinnt Ihr? Was soll das? Das ist Nahrung!!!
   unseren Abendbrottisch. Mit Hingabe wandert Mia        Das ist wertvoll! Damit schmeißt man nicht durch
   zwischen der Küchenzeile und dem Esstisch hin          die Gegend! Und diese Art Essen mampft man
   und her und bugsiert hoch konzentriert Tischtuch,      in unserem Kulturkreis auch nicht mit den Hän-
   Porzellanteller für Porzellanteller, Tasse für Tasse,  den! Ist es zu viel verlangt, euren Kindern diesen
   Besteckteil für Besteckteil, Brotkorb, Aufstriche,     Unterschied zu Schlickspielchen beizubringen?
   Käse, eine Kerze und zur Krönung auch noch die         Und wie soll das überhaupt weitergehen? Schlür-
   halbvolle Salatschüssel auf die Tischplatte. Das       fen, Schmatzen, Furzen beim Essen erlaubt,
   klappt überraschend gut. Oben an der Platte            wegen der vollendeten Sinnlichkeit, oder wie?
   übernimmt Berti: Auf einem Stuhl stehend ordnet        Besteck adieu? Das Omelette im Restaurant auf
   er alle Dinge hoch konzentriert so an, dass wir        die Hand und zum Spaß die Leute am Nebentisch
   anschließend richtig fein zusammen Abendbrot           mit Rosenkohlröschen abwerfen? Bei der Einschu-
   essen können. Ich würde zwar nicht behaupten           lung immer noch mit den Händen oder mit dem
   wollen, dass die Ordnung auf dem Tisch dabei so        Löffel essen, weil das sinnliche Vergnügen mit
   aussieht, als wenn ich ihn eingedeckt hätte, aber      Messer und Gabel nicht groß genug war? Gnade!
   es ist erkennbar, wo es hingeht. Und darum gehtʼs      Zum Schluss noch ein Satz an Lukasʼ Mama aus
   doch: Esskultur für Anfänger. Lernen am Modell!        der Mittwochs-Schwimmgruppe: Liebe Frau G., ich
   Und nun: Keine Ausreden mehr! Ich werde mei-           habe gehört, wie Sie gegenüber Frau H. unsere
   ne Empörung nicht länger in mich hineinfressen,        festen Essenszeiten und den kleinen Tischspruch,
   auch wenn ich mir damit den Groll einiger Mütter       der bei uns einfach zu den Mahlzeiten dazu gehört,
   einhandeln sollte. Sollen sie mit Gemüsesticks         lächerlich gemacht haben! Ihr Lukas liebt den
   auf mich zeigen, sollen sie mich mit Hirsebäll-        Spruch übrigens. Er liebt es, beim Eindecken zu
   chen bombardieren und mit Naturjoghurt be-             helfen, und Berti hat ihm neulich auch gezeigt, wie
   werfen … Ich werde diese Kolumne schreiben,            man Essbares mit Löffel, Gabel und Schieber sicher
   denn: Wenn das, was neuerdings in der Kinder-          in den Mund befördert, statt dilettantisch in den
   erziehung Mode ist, zum Standard wird, kön-            Sachen herumzumatschen. Sie müssen sich jetzt
   nen wir in Gesellschaft demnächst nur noch in          also nicht mehr mit ihm im Restaurant schämen ...
   Ganzkörperkondome eingeschweißt speisen.

   Was im Schlick von Dangast, beim Wühlen in             Und wenn ich schon mal dabei bin: Wieso kommt
   Fingerfarben, Knete und in der nassen Sand-            in Mias Kindergruppe das Mittagessen neuerdings
   kiste selbstredend ein genüsslicher Riesen-            eigentlich hingeklatscht in einem schäbigen alten
   spaß ist, hält neuerdings Einzug in deutsche           Kochpott auf den Tisch? Das ist total daneben!
   Esszimmer: Matsch-, Patsch-, Glibsch- und              Gehört Modelllernen nicht mehr zum pädagogi-
   Wurfspiele der ganz Kleinen mit Brei, Möh-             schen Basiswissen? Habe ich etwas verpasst?
   renmus, Spinat & Co sind in einer bestimmten           So! Puh! Endlich ist es raus! Großartig! … –
   Elternszene gerade total angesagt und wer-             Sie dürfen jetzt mit Joghurt werfen …
   den „sinnliches Essenlernen“ genannt …
                                                          		Eure Tina

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