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Kolumne

                                        Aussteigen…

„Goaodascho“, nuschelt Lena und tippt über dem            Konventionen zu pfeifen und ohne Zeitlimit dösig
Eisbecher in ihr Handy. „Wie bitte? Was hast du denn      grinsend in der Gegend herumzuliegen?“ – Die Ant-
jetzt vor?“ – Schulterzucken. „Goa oda scho! – Kiffna     wort in meinem Hinterstübchen ist bedrückendes
päng!“ Als ich verständnislos mit den Augen rolle,        Schweigen. – „Hallo?“ fragt jemand auf der anderen
steckt sie mir quer über den Eisdielentisch die Zunge     Seite der Klotür, „alles ok bei Ihnen?“ – Klar doch!
raus und das fleischige Rot eines blutjungen Zun-         Ich sammle mich wieder. – Warum sammle ich
genpiercings gräbt sich bis ans Ende meiner Tage in       mich eigentlich dauernd? – Die ganze Welt hängt
meine Netzhaut. „Das ist Körperverletzung“, sage ich.     ab und macht, was sie will, nur ich bin irgendwie
Lena (mein Patenkind, die Tochter meiner aufopfe-         zu doof dazu. – Sammelt sich hier außer mir ei-
rungsvoll schuftenden älteren Schwester Barbara),         gentlich noch irgendwer? – Bin ich vielleicht die
frische 18 Jahre, schwarz gefärbte Haare, nagelneues      Einzige, die verpasst hat, mal aus der Dauersamm-
Dreier-Abi, riesige Kajalaugen im runden Kinderge-        lung auszusteigen und mit frischen Piercings ande-
sicht, mit null Bock auf gar nichts, lächelt. Während     re Menschen zu schockieren? ... Warum steige ich
ich immer noch verstört auf ihre schwarzen Lippen         eigentlich immer nur ein? In Businessklamotten,
starre, malt sie mit Kuli die Serviette voll: „Goa. Oder  nachwuchsgerechte Autos oder bekloppte Diskussi-
so. Kiffen. Abhängen!“ Ihr Handy meldet eine neue         onen? Oder um? Aufs Elektrorad und Ökostrom, auf
WhatsApp. Lena grinst, tippt und verschwindet in          den neuen PC und Saftschorle statt Weißwein beim
den wirren Weiten des Internets. Ich verschwinde          Meeting? – Ich transpiriere und trete hinaus. – Wo
zur inneren Sammlung erstmal aufs Damenklo.               Lena saß, liegt eine weitere vollgekritzelte Serviet-
Von den pappdünnen Wänden der Strullkabine vor            te: „Alles klar? – Bin dann mal weg. Hdgdl, Lena.“
fragenden Blicken geschützt registriere ich ver-          Zwei Glas Prosecco und ein Telefonat mit Barbara
stört, dass mich meine temporär zum Grufti mutier-        später tippe ich vor dem Eingang im besch… Olden-
te Lieblingsnichte mit ihrer läppischen Bemerkung         burger Nieselregen Lenas Nummer in mein Handy.
voll an einem sorgsam gedeckelten wunden Punkt            „Hallo!“, sage ich, „du brauchst doch Kohle. Einen
erwischt hat. Ich steh zwar nicht auf Drogen, aber        guten Job. Ich meine, wegen Goa und so, oder? Ich
„Wann?“, frage ich mich, „Wann habe ich – alleiner-       hab da was für dich.“ Ich vernehme entzücktes Geki-
ziehend, zwei kleine Kinder, selbständig, Dauerre-        cher, auch, dass die Freunde mal die Klappe halten
genjackenträgerin, Konto-kreist-um-den-Nullpunkt-         sollen, und etwas Genuscheltes in der Art von „Bist
Beobachterin –, mir eigentlich zum letzten Mal            die geilste Tante der Welt!“ Wir verabreden uns für
erlaubt, null Bock zu haben, einfach abzuhauen, auf       Freitag um 12.00 Uhr bei Barbara und Lena zu Hause.
                                                          … Barbaras pinker Koffer punktet mit weißen Herz-
                                                          chen. Mein Ausschnitt ist tief und die neue Frisur
                                                          steht. Mia (2) und Berti (4) sind für zwei Wochen
                                                          bei ihrem Erzeuger. Der Flieger nach Florida geht in
                                                          drei Stunden. In Barbaras Haushaltskasse liegen 150
                                                          Euro und ein Zettel „Thanks for housekeeping J“. In
                                                          der Ecke türmen sich diverse Konserven. Zehn Minu-
                                                          ten später Auftritt Lena: „Hey, hab bei Pia verpennt.
                                                          Sorry! – Was geht?“ – Schulterzucken. Das Taxi hupt.
                                                          „Hä?“ fragt Lena. „Goaodascho!“, sagt Barbara. „Kiffna
                                                          päng!“, sage ich. Und dann … sind wir einfach mal weg!

                                                          		 Und tschüss, eure Tina

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