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FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG 3 | 2018                                                    Kolumne

                                    Mut zur Lücke              © Dooder, Freepik.com

Ich habe es wieder getan … – und es hat mir abermals           Geldes – und deshalb empfehle ich Claudi jetzt einfach
diebische Freude bereitet! Mein Auto ist nämlich alt. Und      immer als die Friseurin mit dem glücklichsten Lächeln.
es ist groß. Sehr groß sogar. Ein heiß geliebter Young­        Vielleicht hilftʼs ja, den Lückenschluss zu kompensieren …
timer, dem ich ewige Treue geschworen habe. Ich selbst         Offen gestanden – und vielleicht haben Sie es schon ge­
habe mit schlanken 165 Zentimeter Körpergröße eher             ahnt: Ich habe ein Faible für Lücken jeglicher Art. Dabei
smarte Maße. Und ich bin blond. Zwar nicht naturblond,         geht es um weit mehr als Park- und Zahnlücken. Bereits in
aber immerhin reichen die Strähnchenkünste meiner Fri­         der Grundschule brachten Lückentexte und Lückendiktate
seurin Claudia dafür, dass ich Reifen an Rädern und Autos      meinen Geist auf Hochtouren und animierten mich zum
nicht allein wechseln und Wasserkisten nicht allein tragen     Leidwesen meiner Lehrer zu allerlei kreativen Auswüch­
muss – sofern ich das gerade nicht möchte. Denn müs­           sen. Hat das geschadet? – Hat es nicht! Außerdem mag ich
sen müsste ich nicht – schließlich bin ich im Besitz eines     Menschen, die sich soweit emotional im Griff haben, dass
Werkzeugkoffers, zweier gesunder Hände und habe ein Abo        es zwischen Aktion und Reaktion zur innerseelischen Pro­
in der Muckibude – aber das gehört jetzt nicht hierher.        duktion einer Antwort reicht, die eines erwachsenen Men­
Jedenfalls war da heute auf dem Weg in die Redaktion           schen würdig ist. Sind wir schon groß? Sind wir doch! … An
wieder so eine geniale, winzige Lücke. Parklücke. Und          dieser Stelle könnte ich mich also in einer Aufzählung von
direkt daneben standen zwei goldige Jungs Mitte zwanzig,       zig weiteren Lücken verlieren, doch der Platz ist begrenzt
die schon anfingen, sich zu beömmeln, als ich blinkend         und Sie haben heute sicher noch etwas anderes vor …
neben dem Vorderparker zum Stehen kam, mich zu meiner          Doch dies noch: Meine Mutter – ganz nebenbei eine sehr
maximalen Sitzhöhe aufrichtete und abschnallte. Ich gab        liebenswerte Frau mit etlichen sympathischen Alltags­
ihnen Zeit, ihre Wette abzuschließen, richtete meine Son­      lücken – hat mir zum letzten Geburtstag einen großen
nenbrille, blickte nonchalant über die Schulter, sammelte      Kaffeebecher geschenkt. Darauf steht nicht „Beste Toch­
all meinen Mut zur Lücke, hielt den Atem an und kurbelte       ter der Welt“ und auch nicht „Der frühe Vogel kann mich
mein BMW 325i Cabriolet wie Butter hinein. – Tschacka!         mal“ (auch wenn das ebenfalls der Wahrheit recht nahe
Um den Vormittag zu toppen, schritt ich mit lässigem Augen­    käme). – Nein! Auf meinem Becher steht „Fake it till you
aufschlag und wehendem Pagenköpfchen davon. – Das muss         make it!“ – Hätte man liebevoller mit einer einzigen Tasse
nicht zwingend sein, denn Adrenalin und Endorphine reichen     kommunizieren können, auch ein Lückenkind enorm lieb
nach so einer Aktion auch ohne Schaulaufen für einen geni­     zu haben? – Hätte man nicht! – Mama, ich liebe dich!
alen Start in den Tag, aber frau gönnt sich ja sonst nichts …  Und schließlich hat sich mein Faible für Lücken auch
Apropos Gönnen: Claudia, meine beste Friseurin der Welt,       in Partnerschaftsangelegenheiten bewährt: Nach jah­
hat sich ebenfalls etwas gegönnt und eine kleine Erbschaft     relanger enttäuschender Suche nach meinem Ultimum
in einen kieferorthopädischen Lückenschluss ihrer oberen       Maskulinum (außen Clooney, innen eine finanziell top
Schneidezähne investiert. Leider hat diese etliche Monate      aufgestellte, kinderliebe, vollvegetarische Mischung aus
dauernde und auch nicht eben super komfortable Aktion ihre     Dalai Lama und Nelson Mandela), habe ich dieses Nerven­
komplette personal CI (Werberdenglisch: Corporate Identity)    gezerre einfach abgehakt. – Und was soll ich sagen? Bei
geschrottet. War es vorher nämlich ganz leicht, Claudia trotz  der Perfektionsanalyse meines neuen Schatzes tun sich
wechselnder Haarfarben als weltbeste Friseurin weiterzu­       zwar einige Lücken auf (so weigert er sich zum Beispiel,
empfehlen, machen sie ihre perfekten Beißreihen jetzt zu       in den Anden zu wandern oder auf Rinderbratwürstchen
einem Anonymand im Salon. Auch Leute mit miesem Na­            zu verzichten), aber das macht nichts! Denn dafür beweist
mensgedächtnis konnten sich für den nächsten Besuch beim       dieses wunderbare männliche Geschöpf Tag für Tag Hel­
Coiffeur vorher ganz einfach merken: Termin machen bei         denmut und erträgt mit viel Geduld und Liebe etwas enorm
der mit der niedlichen Zahnlücke … Damit ist jetzt definitiv   Anstrengendes: meine eigenen Lücken. – Danke Holgi!
Schluss! Hier hätte sich – aus rein kommerzieller Sicht – der
Mut zur Lücke über die Zeit denn doch wohl ausgezahlt,         Bis bald Eure Tina
aber persönliche Zufriedenheit ist eben keine Frage des

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